W. Benedikt Schmal
Wer Autos verkauft, darf sich nicht aus dem Staub machen, wenn’s ernst wird: Verfügbare Ersatzteile und verlässlicher Service schützen nicht nur Verbraucher – sie sichern langfristig fairen Wettbewerb
Der vietnamesische E-Auto-Hersteller VINFAST plant, bis Mitte Mai 2025 alle Showrooms und Servicezentren in Europa zu schließen. Rund 90 % der europäischen Belegschaft wurden bereits entlassen. Die Gründe: makroökonomische Unsicherheiten, Handelskonflikte und ein gescheitertes Direktvertriebsmodell. Auch wenn der vietnamesische Hersteller jetzt daran arbeitet, ein Netz aus Partnerhändlern aufzubauen, wirft der Rückzug aus dem Direktvertrieb (der Hersteller verkauft seine Autos direkt an Kunden und nicht über selbständige Autohändler) generelle Fragen zum Geschäftsmodell neuer Marktteilnehmer bei (E-)Autos auf. In den vergangenen Jahren gab es eine Vielzahl an Markteintritten im PKW-Markt, insbesondere aus China. Die neuen, oft jungen Hersteller werben mit modernem Infotainment und Kampfpreisen um die Gunst der Autokäufer in Deutschland, Europas größtem Absatzmarkt für PKW.
Aus ökonomischer Sicht ist Wettbewerb erst einmal positiv. Neue Marktteilnehmer bringen Schwung in die Anbieterlandschaft und sorgen für Innovation und geringere Preise. Doch bei Autos geht es nicht nur um einen günstigen Verkaufspreis. Als langlebiges Produkt ist ein verlässlicher Service und eine Ersatzteilversorgung für die Lebenszeit eines Modells von zentraler Bedeutung. Während dies bei den etablierten deutschen und europäischen Herstellern kein Problem ist, ist die Lage bei den neuen Marktteilnehmern weniger klar.
Ersatzteile und Service: Nach zwei Jahren gilt das „Prinzip Hoffnung“
Was viele Verbraucher nämlich nicht wissen: Es gibt keinerlei gesetzlichen Anspruch auf eine Ersatzteil- und Serviceverfügbarkeit. Aktuell sind Hersteller lediglich verpflichtet, während der gesetzlichen Gewährleistungsfrist – in der Regel zwei Jahre – Ersatzteile bereitzustellen. Danach besteht keine Garantie mehr, dass ein Defekt mit Neuteilen behoben werden kann. Ironischerweise gelten damit in der Europäischen Union schärfere Regeln für Geschirrspüler und Waschmaschinen als für Autos, obwohl letztere 40x so teuer sind.
Die etablierten, europäischen Hersteller haben sich freiwillig dazu verpflichtet, Ersatzteile für 10 bis 20 Jahre vorzuhalten. Volkswagen hält beispielsweise Ersatzteile für 15 Jahre nach dem Produktionsende eines Modells vor. Bei mehrjährigen Bauzeiten eines Modells sind das in der Praxis oft längere Spannen. So wurde der VW Golf IV von 1997 bis 2003 gebaut, Ersatzteile wurden also bis 2018 vorgehalten, das entspricht 21 Jahren für frühe Käufer.
Neue Marktteilnehmer hingegen sind an diesen freiwilligen Industriestandard nicht gebunden. Das ermöglicht es ihnen, durch kurzfristige Marktstrategien und niedrigere Preise einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen – zulasten der Verbraucher und der Nachhaltigkeit. Denn gerade weil die Verbraucher daran gewöhnt sind, sich über die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und Servicemöglichkeiten keine Gedanken zu machen, dürften sie beim Kauf nicht darauf achten beziehungsweise Wert legen – in der irrigen Annahme, die Versorgung sei gesichert.
Das Fehlen verbindlicher Vorgaben zur Ersatzteilversorgung führt zu einem ungleichen Wettbewerb. Hersteller, die in eine langfristige Kundenbetreuung und Ersatzteilversorgung investieren, haben höhere Kosten. Sie konkurrieren mit Anbietern, die diese Investitionen nicht tätigen und dadurch günstigere Preise anbieten können. Das verzerrt den Markt und benachteiligt Unternehmen, die auf Langlebigkeit und Kundenzufriedenheit setzen.
Fehlende Ersatzteile torpedieren die Nachhaltigkeit
Selbst nach dem Auslaufen der Selbstverpflichtung gibt es bei Volumenmodellen oft Dritthersteller, die passende Teile anbieten. So kann man für besagten Golf IV, dessen Produktionsende bereits mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt, noch immer problemlos Ersatzteile wie Frontscheinwerfer bestellen. Anders als bei großen Volumenherstellern ist es bei kleinen Marktneulingen unwahrscheinlicher, dass es Drittanbieter gibt, die bspw. Scheinwerfer oder Verkleidungsteile für eine handvoll Autos eines neuen Anbieters entwickeln und bereitstellen.
Nachhaltig ist das nicht. Rund 70 Tonnen Ressourcen werden bei der Produktion eines neuen PKWs verbraucht. Im Rahmen der Herstellung entstehen bei Autos mit Verbrennermotor 15-20% der Gesamtemissionen im Lebenszyklus bei der Produktion. Bei Elektroautos ist es aufgrund des umweltfreundlichen Betriebs anteilig deutlich mehr. Je nach Strommix ein Drittel bis hin zu einem Großteil der Lebenszyklusemissionen – nämlich dann, wenn der verfahrene Strom durchweg aus erneuerbaren Energien stammt.
Müssen Fahrzeuge wohl oder übel verschrottet werden, weil es keine Ersatzteile mehr gibt, Software nicht mehr einsatzfähig ist oder es keine Werkstatt mehr gibt, die Betriebssysteme oder Hardware instandsetzen können, sorgt das für eine erhebliche Umweltbelastung, die einfach vermieden werden könnte.
Verbindliche Regeln für fairen Wettbewerb und mehr Langlebigkeit
Der Sachverhalt ist klar: Der Status Quo benachteiligt die etablierten Hersteller und schafft Ungleichgewichte im Markt. Im Rahmen unserer mobilitätsökonomischen Forschung für FORMOE – Forschungsforum Mobilitätsökonomik empfehlen Max Zombek und ich deshalb der neuen Bundesregierung die folgenden wettbewerbspolitischen Maßnahmen:
- Gesetzliche Verpflichtung zur Ersatzteilversorgung für mindestens 10 Jahre für alle Hersteller, die Fahrzeuge in Deutschland verkaufen.
- Verpflichtende Offenlegung von Reparatur- und Servicedaten nach Marktaustritt oder spätestens nach Ablauf einer bestimmten Frist.
- Einrichtung eines verpflichtenden Fonds, aus dem ein unabhängiger Aftermarket-Support finanziert werden kann – etwa für Schulungen, Werkzeuge oder kritische Ersatzteile.
Diese Maßnahmen würden nicht nur den Verbraucherschutz stärken, sondern für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen. Ein „Level Playing Field“ ist entscheidend, um Innovation und Nachhaltigkeit in der Automobilbranche zu fördern. Zu Beginn des Jahres hatte VINFAST für deutsche Kunden eine Service-Kooperation mit der Werkstattkette ATU vereinbart. Die Zusammenarbeit mit herstellerunabhängigen Werkstattketten kann ein sinnvoller Weg sein, Service verlässlich vorzuhalten, wenn Hersteller im Direktvertriebsmodell ohne Autohändler ihre PKW vertreiben.
Doch so eine Kooperation sollte bereits vor dem Marktstart eines neuen Modells feststehen (müssen) und finanziell so ausgelegt sein, dass die Werkstattketten auch dann noch Service bereithalten, wenn der Hersteller bereits den Markt wieder verlassen hat. Ein Ansatz könnte hier der oben-genannte Fonds sein, in den neue Hersteller zweckgebunden Geld einzahlen müssen.
Ein moderner Industriestandort kann sich keine Wegwerf-Autos leisten.
ÜBER FORMOE
Das FORMOE – Forschungsforum Mobilitätsökonomik ist eine innovative Initiative zur wissenschaftlichen Untersuchung der ökonomischen Herausforderungen und Chancen der Mobilität im 21. Jahrhundert. Durch die Zusammenarbeit zweier Technischer Universitäten mit hoher Expertise in der Wettbewerbs- und politischen Ökonomik, ebenso wie in der Fahrzeugtechnik, schafft FORMOE eine einzigartige Plattform für interdisziplinäre Forschung und Kooperation, um zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragestellungen der Automobilökonomie ökonomisch zu analysieren.
Das Forum wurde von den Ökonomen Dr. W. Benedikt Schmal und Max Zombek, M.A. ins
Leben gerufen und wird von ihnen geleitet. Es dient dem Aufbau von mobilitätsökonomischer Expertise in Ostdeutschland und soll den Diskurs zu Mobilitätsfragen um eine ökonomische Perspektive bereichern. FORMOE ist angesiedelt an der Technischen Universität Ilmenau und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.

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